Ins Wasser geboren

Marie kam mit 3740 Gramm an einem milden Herbsttag im Oktober zur Welt. 

Wir warteten schon eine gefühlte Ewigkeit auf ihre Reise zu uns. Nike versuchte im Geburtszeitraum alle möglichen natürlichen Dinge, um die Geburt anzuschubsen und Marie in unsere Welt einzuladen. Am Ende des normalen Geburtszeitraumes an ET+14 war es an der Zeit für Nike in die Klinik zu gehen und dort mit den Geburtshelfern über weitere Schritte und eine Einleitung zu beraten, da sie dort eine Beleggeburt wünschte und dies eine der Bedingungen des Klinikums war. Nike einigte sich mit den Geburtshelfern auf eine sanfte Einleitung mit Prostaglandinen und schon nach kurzer Zeit begannen leichte Geburtswellen durch ihren Körper zu strömen. 

Gegen halb 10 Uhr verabredete ich mit Nike, sie gegen Mittag in der Klinik zu treffen, sodass ich sie beim Verarbeiten der Wellen unterstützen konnte. Bis dahin war sie ohne Geburtspartner, denn mit ihrem Mann war besprochen, dass er zuhause bei ihrem älteren Kind blieb. Somit war ich als Doula auch gleichzeitig der “Partnerersatz”. 

Als ich gegen kurz vor 12 bei ihr ankam, waren die Wellen intensiver, sodass Nike immerwieder stehen bleiben und die Wellen verarbeiten musste. Die Abstände waren kurz, sodass sie auf einem Weg von 100 Metern mehrmals stehen bleiben und veratmen mussten.

Nike ließ sich im Kreißsaal von einer lieben Hebamme untersuchen. Diese stellte fest, dass der Muttermund ca. 1cm geöffnet war. Damit konnte ihr Wunsch, im Kreißsaal zu bleiben, noch nicht erfüllt werden und wir begaben uns zurück auf das Zimmer in der Entbindungsstation.

Dort machten wir es uns gemütlich mit entspannenden Klängen und spirituellen Gesängen aus der Musikbox. Bunte Papierblumen zauberten ein paar Farbakzente auf das Bett und den Tisch. Das Patientenbett verstellten wir so, dass ein aufrechter Vierfüßlerstand möglich war. Das Kopfteil war dabei fast 90 Grad senkrecht. Nike kniete auf dem Bett und stützte sich mit den Armen aufs oberste Ende des Kopfteils.

Für einen Moment probierten wir auch verschiedene Rebozo-Techniken aus (umschlungener Bauch mit Gegendruck aufs Kreuzbein, Bauch schaukeln, Becken im den Bonbon schütteln). Schnell wurde klar, dass eine leichte Massage und gelegentlicher Druck aufs Kreuzbein stimmiger waren und Nike beim Surfen im Einklang mit den Geburtswellen half.

Gegen ein Uhr fanden wir uns wieder im Kreißsaal ein, um ein weiteres CTG zu schreiben. Die Hebamme tastete erneut den Muttermund, welcher bereits 2cm gedehnt war. Das mobile CTG wurde angelegt und zeigte einen ruhigen Puls des Kindes. Vielleicht hat sie sogar geschlafen, um sich vor der anstrengenden Reise auszuruhen. Nach einer Weile versuchten wir, sie zu wecken, um ein besseres CTG zu erhalten. Gegen 13:30 wurden die Prostaglandine entfernt, da sie ihren Job, die Wellen auszulösen, grandios vollbracht hatten. Diese Prozedur war für Nike sehr schmerzhaft und schien Marie aufgeweckt zu haben. Die Hebamme teilte uns danach mit, dass der Muttermund schon auf 3cm gedehnt war. Bis dahin hatte Nike sich immer an Tischen oder Theken aufgestützt. Nun änderte sie die Gebärposition und hängte sich an mich, wie bei einer festen Umarmung. Bei jeder Welle umarmten wir uns nun und ich streichelte ihren Rücken und hielt gleichzeitig Gegendruck aufs Kreuzbein. Nike nahm die Wellen großartig an und hielt ihnen mit enormer Kraft stand. Sie hat fantastisch geatmet und getönt. Manchmal habe ich mit getönt und in anderen Momenten habe ich bewundernde und bestärkende Worte an Nike gerichtet.

Die Hebamme hatte es inzwischen eilig, den Kreißsaal und alles drum herum für die Endphase der Geburt vorzubereiten. Sie hatte wohl im Gefühl, dass Marie nicht mehr lange auf sich warten ließe. Wir riefen Nikes Beleghebamme an, damit sie sich auf den Weg in den Kreißsaal machen konnte.

Die Intensität der Wellen stieg stetig an, wenn auch ab und zu ein bis zwei schwächere Wellen zum Luftholen dabei waren. Wie bei fast jeder Geburt, kam auch bei Nike der Zeitpunkt, wo sie genug von den Wellen hatte und vor sich hin schimpfte:„Wenn mir gleich jemand sagt, dass die Wellen nichts gebracht haben, bleibt das Baby eben drin, bis es 18 Jahre alt ist!“

Kurz darauf kam ihre vertraute Beleghebamme rein und stellte fest, dass der Muttermund fast vollständig eröffnet war. Das nahmen Nike und ich mit großer Erleichterung und ausgelassener Freude zur Kenntnis. Die Beleghebamme erfüllte Nikes Wunsch einer Wassergeburt und beeilte sich, die Geburtswanne noch rechtzeitig zu füllen.

Das warme Wasser umspülte ihren Körper und gab ihr die ersehnte Schmerzlinderung während der Wellen. Nun begann die Austreibungsphase: Nike lag halb-sitzend auf dem Rücken. Ihren Bauch und die Brust schauten ein Stück aus dem Wasser heraus. Damit ihr nicht unangenehm kalt wurde, legten wir ein Stofftuch über ihren Oberkörper, welches ich kontinuierlich mit dem warmen Badewasser begoss. Die Haltegriffe umklammert presste Nike Welle um Welle. Nach ein paar Wellen platzte plötzlich die Fruchtblase und kündigte damit das baldige Kommen an. Um Marie den Weg durch den Geburtskanal zu erleichtern, nahm Nike den Vierfüßler-Stand mit stark gesenktem Becken ein. Wie in der tiefen Hocke konnte sie so ihr Becken maximal für das Baby öffnen. Leider schmerzte ihr hierbei die Symphyse sehr. Sobald das Baby weiter nach unten geglitten war, nahm Nike wieder die halb-liegende Position für den Endspurt ein. Erst konnten wir die Haare des Babys sehen, dann den halben Kopf, eine Welle später kam der ganze Kopf zum Vorschein und mit der letzten Welle wurde der gesamte Körper geboren. Für einen Moment schwamm das Baby schwerelos im Wasser, dann hob Nike ihr Baby aus dem Wasser auf ihre Brust. Maries Augen waren weit aufgerissen und sie war ganz ruhig und neugierig. 

Es wurden warme kuschelige Handtücher für beide gebracht und die Hebamme half ihnen ins Kreißsaalbett. 

Dort angekommen wurde festgestellt, dass die Nabelschnur recht kurz war. Nachdem sie auspulsiert war, durfte ich als „Partnerersatz“ die Nabelschnur durchtrennen. Nun konnte Marie hoch auf Nikes Brust liegen und sie konnten sich richtig anschauen. 

Nach einer kurze Nachgeburtsphase wurde Nike und Marie viel Zeit gegeben, sich zu zweit im Kreißsaal kennenzulernen und zu kuscheln. Als Doula durfte ich dafür sorgen, dass Nike alles zur Hand hatte, was sie für diese ersten Stunden mit ihrem Baby brauchte (z.B. Trinken, Powerriegel und später auch ihr Handy).

Nike nahm Marie zärtlich an die Brust und nach wenigen Versuchen begann die Kleine fröhlich zu saugen.

Ich bin sehr froh, dass ich diese traumhafte Geburt begleiten durfte und freue mich, dass Marie durch so einen sanften Start in unsere wundervolle Welt geboren wurde.